Aus: junge
Welt Ausgabe vom
12.04.2017, Seite 14 / Feuilleton
Rotlicht: AKP
Von Nick
Brauns
»Die
Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die
Minarette sind unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme, die Moscheen unsere
Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten.« Als der
damalige Bürgermeister von Istanbul, Recep Tayyip
Erdogan, 1998 dieses prophetisch erscheinende Gedicht rezitierte, brachte es
ihm eine mehrmonatige Haftstrafe ein. Wieder in Freiheit ging Erdogan auf
Distanz zur dann später (2001) verbotenen radikalislamischen »Tugendpartei«
seines politischen Ziehvaters Necmettin Erbakan. Gemeinsam mit weiteren
scheinbar geläuterten Islamisten wie dem späteren Staatspräsidenten Abdullah
Gül gründete er am 14.8.2001, nur knapp acht Wochen nach dem Verbot, die nach
eigenem Bekunden »konservativ-demokratisch« ausgerichtete Partei für
Gerechtigkeit und Aufschwung (Adalet ve Kalkınma Partisi, AKP) .
Nach einer
schweren Wirtschaftskrise kam die AKP bei den Wahlen am 3. November 2002 aus
dem Stand auf 34 Prozent der Stimmen. Begünstigt durch das undemokratische
Wahlsystem konnte sie als erste religiös orientierte Partei in der Geschichte
der Türkei eine Alleinregierung bilden. Da es der AKP am nötigen Personal zur
Übernahme des Staatsapparates fehlte, ging sie eine Allianz mit der in Polizei
und Justiz einflussreichen Bewegung des Predigers Fethullah
Gülen ein.
Gegen die
korrupten Altparteien präsentierte sich die AK-Partei – »ak«
bedeutet auf Türkisch »weiß« – als saubere Alternative. Dafür erhielt sie die
Unterstützung des »grünen Kapitals«, also der bislang durch die säkularen
Eliten von der politischen Macht ausgeschlossenen frommen anatolischen Unternehmer.
In deren Interesse sowie im Sinne ihrer Gönner in der EU und der USA leitete
sie eine konsequent wirtschaftsliberale Politik ein.
In ihren
ersten beiden Legislaturperioden präsentierte sich die Regierung der noch von
vielen Liberalen unterstützten AKP als Reformkraft, die im Rahmen des laufenden
EU-Beitrittsprozesses die Todesstrafe abschaffte und das Militär mit
Massenverhaftungen in seiner Macht beschnitt. Doch spätestens seit 2011
erfolgte ein Rollback. Zur neuen Staatspartei aufgestiegen, machte sich die AKP
das autoritäre Erbe des Kemalismus in einer religiös verbrämten Variante der
Staatsideologie von »einer Nation, einer Fahne und einer Sprache« zu eigen. Sie nutzte ihrerseits die auf die Putschmilitärs von
1980 zurückgehenden autoritären Institutionen zur Unterdrückung der kurdischen
und linken Opposition. Auch nach Meinung der Bundesregierung wandelte sich die
Türkei unter der AKP, der die NATO eine Rolle als trojanisches Pferd in der
muslimischen Welt zugedacht hatte, zur »zentralen Aktionsplattform«
islamistischer Gruppierungen.
2013 wurde
zum Krisenjahr der AKP. Im Sommer machten Millionen Menschen in den Gezi-Park-Protesten ihren Unmut über die autoritäre
Herrschaft Luft. Ende des Jahres zerbrach die Allianz mit der Gülen-Bewegung,
deren Staatsanwälte die Spitzenvertreter der »sauberen Partei« der Korruption
bezichtigten.
Im Sommer
2015 kostete der Wahlerfolg der linken und prokurdischen HDP, der Partei der
Völker, die AKP die zur Fortführung ihrer Alleinregierung notwendige Mehrheit.
Daraufhin ließ Staatspräsident Erdogan den Krieg gegen die Kurden erneut
eskalieren, um, einer Strategie der Spannung folgend, bei Neuwahlen wieder 50
Prozent für die AKP einzufahren.
Seit dem
gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 regiert Erdogan mit Hilfe des
Ausnahmezustandes als bonapartistischer
Alleinherrscher. Es ist unwahrscheinlich, dass er das als Geheimnis des
AKP-Erfolgs geltende Versprechen von »Kalkinma«
(Aufschwung) weiterhin einlösen kann. Denn die wirtschaftliche Zerrüttung des
von ausländischen Kapitalzuflüssen abhängigen Landes hat strukturelle Ursachen,
die sich nicht per Präsidialdekret beseitigen
lassen.