Junge Welt 13.06.2013
/ Inland / Seite 5
Autoritäres Netzwerk
Bundesregierung kooperiert verstärkt mit pantürkischer
Bewegung des Imam Gülen
Von Nick
Brauns
Die
Bundesregierung arbeitet immer enger mit Vereinigungen zusammen, die zur
pantürkisch-islamischen Hizmet-Bewegung des Imam Fethullah Gülen gehören. Dies zeigt die Antwort der
Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der
Linksfraktion, Ulla Jelpke, zur »Zusammenarbeit der Bundesregierung mit der Fethullah-Gülen-Bewegung«.
Während außerhalb der türkeistämmigen Diaspora die Gülen-Bewegung in
Deutschland nur wenigen Menschen ein Begriff ist, führt das US-Magazin Time den
pensionierten Imam Gülen auf seiner diesjährigen Liste der 100 einflußreichsten Persönlichkeiten in der Welt. Gülen,
dessen Anhänger Schulen in 140 Ländern gegründet haben, sei der »wichtigste
Anwalt einer Modernisierung der muslimischen Welt«, heißt es da. Doch
gleichzeitig sei der im selbstgewählten Exil in Pennsylvania lebende Gülen ein
»schattenhafter Puppenspieler«, der aufgrund seines immensen Einflusses in
seiner türkischen Heimat, wo seine Schüler Spitzenpositionen in Regierung,
Justiz und Polizei errungen haben, von ebenso vielen Menschen gefürchtet wie
geliebt werde.
Oppositionspolitiker beschuldigen die mit der islamisch-konservativen
Regierungspartei AKP verbündete Gülen-Gemeinde, die treibende Kraft hinter
Massenverhaftungen von Tausenden Regierungsgegnern – vom Viersternegeneral bis
zum kurdischen Bürgermeister – zu sein. So bezeichnet der aufgrund seiner
Enthüllungen politisch verfolgte Journalist Ahmet Sik
die türkische Polizei im Titel seines noch vor Erscheinen verbotenen Buches als
»Armee des Imam«. Vor zwei Wochen wurde Sik zu Beginn
der Proteste auf dem Istanbuler Taksim-Platz von
einem Polizisten offenbar gezielt mit einer Gasgranate am Kopf verletzt.
In der Mitte April vom WDR ausgestrahlten Dokumentation »Der lange Arm des
Imam« von Yüksel Ugurlu und Cornelia Übel berichten Aussteiger von Gehirnwäsche
und Sektenstrukturen in den als Lichthäusern bezeichneten Wohnheimen der
Gülen-Bewegung auch in Deutschland. Die Reporter wiesen anhand eines Gülen-Textes
nach, daß der Imam bei Abfall vom islamischen Glauben
die Todesstrafe für gerechtfertigt hält.
Der Bundesregierung sei bekannt, daß die
Gülen-Bewegung »im öffentlichen Raum kontrovers diskutiert wird«, heißt es in
der Antwort auf die Kleine Anfrage. Doch über Internet- und Medienquellen
hinausgehende Erkenntnisse hat die Bundesregierung nicht. Im Raahmen von Veranstaltungen kooperiert sie mit dem Berliner
»Forum für interkulturellen Dialog«, dessen Ehrenpräsident Gülen ist. Der
Münchner Gülen-Verein IDIZEM wurde als Integrationskursträger zugelassen, und
die Deutsche Botschaft in Ankara steht in Kontakt zu Gülens
»Journalisten- und Schriftsteller-Stiftung«. Die Staatsministerin im
Auswärtigen Amt, Cornelia Pieper, übernahm zudem am 20. April die Schirmherrschaft
für die Deutsch-Türkische Kulturolympiade, die mit 8000 Besuchern in der
Dortmunder Westfalenhalle ausgerichtet wurde. Veranstalter war »Academy – Verein für Bildungsberatung«, der die bundesweit
rund 150 Nachhilfeinstitute der Gülen-Bewegung koordiniert.
Der zur Gülen-Bewegung zählende »Bundesverband der Unternehmerverbände« (BUV)
ist für die Bundesregierung ein »kompetenter und leistungsfähiger Partner« bei
Wirtschaftsveranstaltungen, der »über sehr gute Kontakte zu den türkischen
Ministerien und Behörden sowie zu anderen wichtigen wirtschaftlichen Akteuren
und Multiplikatoren in der Türkei« verfüge. So wurde das vom BUV in
Zusammenarbeit mit dessen türkischem Partnerverband TUSKON im Dezember 2012 in
Istanbul durchgeführte Deutsch-Türkische Energieforum mit rund 65000 Euro vom
Bundesumweltministerium gefördert. Der BUV begleitete Bundeswirtschaftsminister
Philipp Rösler (FDP) im April 2013 zum Energieforum nach Ankara.
»Während die ›Armee des Imam‹ in der Türkei gnadenlos auf friedliche Demonstranten
einprügelt, stellt die Bundesregierung bei ihrer Zusammenarbeit mit der
autoritär-neoliberalen Gülen-Bewegung Profite über Menschenrechte«, beklagt
Ulla Jelpke.
Bislang beschränkten sich die Gülenisten in
Deutschland auf Lobbytätigkeit und holten nur einzelne deutsche Politiker wie
Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) in die Beiräte ihrer Vereine. Nun
scheint es die Gülen-Anhänger selber in die Politik zu ziehen. Wie jW in Erfahrung bringen konnte, sind in Leipzig mehrere
Dutzend türkeistämmige Personen aus dem Umfeld des Sächsischen Bildungszentrums
(Sae.Bil), dessen Geschäftsführer Tayyar Kocak sich
offen zur Hizmet-Bewegung bekennt, in die SPD
eingetreten. Dort versuchen sie, die personalschwachen Leipziger Jusos zu
übernehmen.
Linke Sozialdemokraten, die sich dieser Unterwanderung entgegenstellen, aber
auch Stadträte der Linkspartei, die sich gegen eine städtische Förderung des Sae.Bil aussprechen, sehen sich nun mit Rassismusvorwürfen
vom rechten Flügel der SPD konfrontiert. Dieser erhofft sich von den
Gülen-Leuten offenbar Unterstützung bei der Erringung von Mandaten.
Auch in der Hamburger SPD gab es nach jW-Informationen
Dutzende Neueintritte von Personen, die der Gülen-Bewegung zugerechnet werden.