Aus: junge Welt Ausgabe vom 25.09.2019, Seite 15 / Antifa
TÜRKISCHE
FASCHISTEN IN DER BRD
Erdogans Reservetruppe
Militante »Graue Wölfe« können in der
Bundesrepublik weitgehend ungestört operieren, vor allem gegen Linke und Kurden
Von Nick Brauns
In der Türkei befinden sich die
faschistischen »Grauen Wölfe« der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP)
seit 2015 in einer Allianz mit der religiös-nationalistischen Partei für
Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Offizielle Regierungsposten hat die von
Devlet Bahceli geführte MHP zwar nicht. Sie kann es
sich aber als Erfolg anrechnen, dass Erdogan wesentliche Elemente ihres
Programms übernommen hat und insbesondere in der kurdischen Frage einseitig auf
Krieg und Repression setzt. Entsprechend stark vertreten sind die Grauen Wölfe
in den Spezialeinheiten von Armee und Polizei, die in den kurdischen
Landesteilen für zahlreiche Massaker verantwortlich sind.
Die AKP-MHP-Kriegsallianz setzt sich in
der Bundesrepublik fort, wo die Grauen Wölfe als verlängerter Arm der Regierung
in Ankara türkeistämmige Oppositionelle einschüchtern. Größte Vereinigung im
Spektrum der »Idealisten« (Ülkücü), wie sich die
türkischen Faschisten selbst nennen, ist hier die Türkische Föderation als
Auslandsvertretung der MHP. Ihr sind zahlreichen Mitgliedsvereine, Fußballclubs
und Moscheen angeschlossen, zudem gehören ihr viele Vertreter in
Migrationsbeiräten an. Auf ihren Mitgliederversammlungen treffen sich
regelmäßig um die 10.000 Anhänger der Föderation.
Zum Ülkücü-Spektrum
zählen auch die beiden stärker religiös ausgerichteten Verbände ATB (Verband
der türkischen Kulturvereine in Europa) und ATIB (Union der
Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.). Die ATB steht der mit der
AKP verbündeten religiös-faschistischen Großen Einheitspartei (BBP) in der
Türkei nahe, in der sich in den 90er Jahren der von den »Krawattenfaschisten«
aus der MHP gedrängte Straßenkampfflügel der Grauen Wölfe gesammelt hatte. Aus
dieser Ecke kommt ursprünglich auch die ATIB, die diese Wurzeln heute gerne
leugnet. Als Mitglied im Zentralrat der Muslime dient dieser mittlerweile
AKP-nahe Islamverband als Bindeglied zwischen türkischen Ülkücü-Spektrum
und der arabischen Muslimbruderschaft. Der vom
türkischen Geheimdienst gelenkte rockerähnliche Boxclub
»Osmanen Germania« wurde zwar 2018 vom Bundesinnenministerium verboten. Doch
die »Turkos MC«-Rocker und der Verein Turan e. V. sind weiterhin aktiv. Dazu
kommt eine starke über soziale Medien vernetzte Ülkücü-Jugend-
und Musikszene.
Der einseitige Blick mancher
Antifaschisten auf die Grauen Wölfe ignoriert, dass die Grenzen zwischen dem Ülkücü-Spektrum, türkischen Islamisten und der
Regierungspartei AKP fließend sind. Auf antikurdischen und antiarmenischen
Demonstrationen ergänzen sich türkische Nationalfahnen, Bilder von
Staatsgründer Atatürk und Erdogan, »Allahu-akbar«-Rufe
und der »Wolfsgruß« – eine Handgeste, bei der Daumen, Mittel- sowie Ringfinger
zusammen die »Wolfschnauze« bilden, während Zeige- und Ringfinger gestreckt
bleiben. Einigendes Band ist die bis zum völkermörderischen Jungtürkenregime im
Ersten Weltkrieg und die Gründungsphase der Türkischen Republik in den 1920er
Jahren zurückreichende Formel »Eine Nation – eine Fahne – ein Vaterland – ein
Staat«, die auf zwangsweise Homogenisierung des Bevölkerungsmosaiks auf dem
Gebiet der Türkei zielt.
Während die kurdische PKK verboten ist
und türkische Kommunisten in München unter Terroranklage vor Gericht stehen,
können die Grauen Wölfe in der Bundesrepublik weitgehend ungestört agieren.
Offensichtlich profitieren sie weiterhin von dem Versprechen, dass der
CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß 1978 dem
Vorsitzenden der MHP und Hitler-Verehrer Alparslan Türkes
gab. »Strauß sagte dem Vernehmen nach den MHP-Politikern zu, dass in Zukunft
für die MHP und die ›Grauen Wölfe‹ ein günstiges psychologisches Klima in der
Bundesrepublik geschaffen werden müsse, damit die MHP hier in einem besseren
Licht erscheine«, berichtete die Gewerkschaftszeitung Metall später
von dem Treffen. Mit Unterstützung bundesdeutscher Geheimdienste wurde
anschließend die Türkische Föderation in Deutschland gegründet.
In der Türkei massakrierten die
militärisch geschulten Kommandos der Grauen Wölfe damals im Rahmen einer von
der NATO-»Stay behind«-Truppe
Gladio orchestrierten »Strategie der Spannung«
Tausende Sozialisten, Gewerkschafter und Aleviten.
Doch für Strauß und die deutsche Rechte waren die Grauen Wölfe ein willkommenes
Gegengewicht zu den auch unter den türkeistämmigen Arbeitsmigranten starken
linken Strömungen. Und ebenso wie in der Türkei gingen nun Rollkommandos der
Grauen Wölfe gegen linke Türken in Deutschland vor.
Am Kottbusser
Tor in Berlin-Kreuzberg erinnert ein Mahnmal an den dort am 5. Januar 1980 von
türkischen Faschisten mit Messerstichen ermordeten Kommunisten Celalettin Kesim.