Von Gladio
zu Gülen
Der Ergenekon-Prozess steht
nicht für Demokratisierung sondern für eine Wandlung des „tiefen Staates“ in
der Türkei
Von Nick Brauns, Historiker und
Journalist
Mit
langjährigen Haftstrafen endete am 5. August die erste Runde im seit fünf
Jahren laufenden Ergenekon-Verfahren. 270 Militärs,
Politiker und Akademiker waren angeklagt, einen nach der mythologischen
Urheimat der Türkvolker „Ergenekon“
genannten Geheimbund gebildet zu haben. Laut der 4000 seitigen,
Anklageschrift soll Ergenekon Anschläge zur
Vorbereitung eines Militärputsches gegen die Regierung von Ministerpräsident
Recep Tayyip Erdogan geplant haben. Höchstrangiger Angeklagter war der frühere Generalstabschef
Ilker Basbug, der als „Führer einer terroristischen
Vereinigung“ ebenso wie der Journalist
Tuncay Özkan und der pensionierte General Veli Kücük sowie 16 weitere Angeklagte
lebenslängliche Haft bekam. Der Vorsitzende
der linksnationalistischen Arbeiterpartei (IP) Dogu Perincek soll für 117 Jahre und der
verschwörungstheoretische Bestsellerautor Yalcin Kücük für 22,5 Jahre hinter
Gitter. Der Journalist und Abgeordnete der Republikanischen Volkspartei (CHP),
Mustafa Balbay, erhielt 34 Jahre Haft. 21 Angeklagte
wurden freigesprochen. Einige der Beschuldigten saßen seit über fünf Jahren in
Untersuchungshaft.
Die Beschuldigten bestreiten die Existenz von „Ergenekon“ und beschuldigen die AKP-Regierung vor, mit
diesem Konstrukt das Ansehen der Armee im Volk zerstören zu wollen. Tatsächlich
befinden sich unter den jetzt Verurteilten ehemals hohe NATO-Offiziere ebenso
wie kemalistische Ideologen, die als radikale NATO-Kritiker aufgetreten sind.
Dass diese eine gemeinsame Organisation zum Sturz der Regierung Erdogan
gegründet haben sollen, ist unglaubwürdig. Mit einer Putschverschwörung haben
wir es hier nicht zu tun, wohl aber mit einer nationalistischen
Gesinnungsgemeinschaft. Deren einigendes Band ist der Glaube an eine
einheitliche und unteilbare türkische Nation, ihre Verleugnung anderer
Identitäten wie der Kurdischen und ihre Feindschaft gegenüber jeglicher
Religiosität. In einen wirklichen Widerspruch mit der AKP-Regierung, deren
„kurdische Öffnung“ bislang mehr als halbherzig ist, sind die Ergenekon-Verurteilten nur mit dem letzten Punkt geraten.
Die CHP-Opposition wirft der AKP-Regierung eine
Hexenjagd auf ihre laizistischen Kritiker vor. Erdogan und die seiner Regierung nahestehenden Medien
feiern den „historischen Prozess“ dagegen als Meilenstein bei der
Demokratisierung des Landes, in dem die Armee zwischen 1960 und 1997 vier
gewählte Regierungen gestürzt hat. Doch in Wirklichkeit ist der Ergenekon-Prozess nur das sichtbarste Zeichen für den
Wandlungsprozess des „tiefen Staates“, der die gesamte
rund 90 jährige Geschichte der Republik Türkei durchzieht. Die Wurzeln des
„tiefen Staates“ liegen bei den Jungtürken des Komitees für Einheit und
Fortschritt (ittihad ve terraki), die sich in der Schlussphase des Osmanischen
Reiches als Geheimbund innerhalb von Armee und Bürokratie organisiert hatten,
und 1908 durch eine Militärrevolte an die Macht kamen. „Während selbst der
Nationalsozialismus in Deutschland und der italienische Faschismus als
Massenbewegungen begannen und sich später als Staaten organisierten, entstand ittihad ve terraki
vollständig innerhalb des Staates“, verweist Abdullah Öcalan in der „Roadmap für Verhandlungen“ auf eine Besonderheiten dieser
Form des türkischen Staatsnationalismus.
„Die Organisierung als Parallelstaat innerhalb des Staates ist eine
selten anzutreffende Organisationsform.. … Wir haben
hier das Originalmodell des Staates im Staat.“ Jungtürkische Kader prägten die
1923 von Mustafa Kemal, der selber nicht dieser Tradition entstammte,
gegründeten Republik nicht nur ideologisch mit ihrem Glauben an die künstliche
Schaffung einer türkischen Einheitsnation. Sie drückten dem kemalistischen
Staat auch politisch ihren Stempel auf. „Der Stil, mit dem die ittihad ve terraki-Mitglieder
sowohl den Staat als auch die Gesellschaft führten, besaß durchgängig einen
verschwörerischen und putschistischen Charakter“,
betont Öcalan. Hatten die vielfach auf preußischen Kadernenhöfen
ausgebildeten Jungtürken in der Endphase des Osmanischen Reiches im Deutschen
Kaiserreich ihren großen Bruder gesehen, so wurden in den 20er Jahren
Großbritannien und nach dem Zweiten Weltkrieg die USA Schutzmächten dieses
„tiefen Staates“, mit dessen Hilfe sie die Türkei als Vasallenstaat
kontrollierten.
Konterguerilla
Mit dem
NATO-Beitritt der Türkei 1952 wurde unter Führung der USA die Geheimorganisation
Gladio als „tiefer Staat“ innerhalb der türkischen
Streitkräfte aufgebaut. Zuerst in den „Vereinen zur Bekämpfung des Kommunismus“
und später in den faschistischen Grauen Wölfen schuf sich die Gladio-Organisation ihr politisches und paramilitärisches
Standbein. Die Hauptstoßrichtung dieses tiefen Staates richtete sich nun gegen
den tatsächlichen und vermeintlichen Kommunismus in der Türkei als Frontstaat
der NATO zur Sowjetunion. Ab Mitte der 70er Jahre entfachte die als „Amt für
Spezielle Kriegsführung“ von General Kenan Evren
geführte Gladio-Struktur mit Hilfe der Grauen Wölfe
systematischen Terror zur Vorbereitung eines Militärputsches. Innerhalb von
fünf Jahren starben bei Straßenkämpfen und Anschlägen rund 5000 vor allem
linksgerichtete Aktivisten, auf dem Taksim richteten Gladio-Scharfschützen am 1. Mai 1977 ein Massaker an und
1978 ermordeten Graue Wölfe in einem Pogrom in Marasch
über 100 Aleviten. Am 12. September 1980 putschte
sich die Armee „zur Wiederherstellung der Ordnung“ an die Macht. General Evren wurde zum Staatspräsidenten. Nach der revolutionären
Linken wurde die 1984 zum bewaffneten Widerstand übergegangene kurdische
Befreiungsbewegung zum neuen Hauptziel des „tiefen Staates“. Eine
Konterguerilla aus Spezialeinheiten der Armee, Todesschwadronen der Grauen
Wölfe und des Geheimdienstes der Militärpolizei JITEM sowie der sunnitischen Hizbullah verschleppte, folterte und ermordete in den 90er
Jahren tausende kurdische Zivilisten. Von der
Konterguerilla ermordet wurden so unter anderem der Schriftsteller Musa Anter in Amed (Diyarbakir), der
Abgeordnete der prokurdischen Demokratiepartei DEP Mehmet Sincar,
der Vertreter des Menschenrechtsvereins IHD aus Êlih
(Batman) Sıddık Tan und zahlreiche
Journalisten der Tageszeitung Özgür Gündem, deren
Redaktionsräume in Istanbul und Ankara 1994 durch Bombenanschläge der
Konterguerilla zerstört wurden. Schätzungen gehen von bis zu 17.000
„Verschwundenen“ durch „unbekannte Täter“ während der 90er Jahre aus, die in
Massengräbern verscharrt, auf Müllhalden geworfen oder in Brunnenschächten
versenkt wurde. In der Provinz Sirnak, wo noch im
Jahr 2001 der HADEP-Vorsitzenden, Serdar Tanış
und der Kassenwarts der Partei, Ebubekir Deniz,
entführt und ermordet wurden, entstand damals ein regelrechter Konterguerillastaat.
Einige
Konterguerilla-Gruppen verschmolzen mit der Mafia, sie begannen auf eigene
Faust zu operieren und immer tiefer in Drogenhandel, Korruption und Erpressung
zu versinken. Das ganze Ausmaß der Verstrickung von Staat, Grauen
Wölfen und Mafia wurde durch den berühmten Verkehrsunfall in der westtürkischen
Kreisstadt Susurluk am 3. November 1996 sichtbar. In
einem Auto starben der stellvertretende Istanbuler Polizeipräsident Hüseyin Kocada, der von Interpol gesuchte Drogenhändler Abdullah Çatli und dessen Geliebte. Der kurdische Stammesführer und
Abgeordnete der Regierungspartei DYP, Sedat Bucak,
dessen 10000 Mann starke Dorfschützermiliz gegen die
PKK kämpfte, überlebte schwer verletzt. „Wir werden uns immer voller
Hochachtung an jene erinnern, die im Namen dieses Landes, dieser Nation, dieses
Staates Kugeln abfeuern oder Wunden erhalten“, würdigte die damalige
Außenministerin Tansu Çiller (DYP) den ehemals
führenden Aktivisten der Grauen Wölfe Çatli, der bei
seinem Tod einen Polizeiausweis bei sich führte. Çatli
hatte 1979 den MHP-Auftragskiller und späteren Papst-Attentäter Mehmet Ali Aca
bei der Ermordung des Milliyet-Chefredakteurs Abdi Ipekci unterstützt und ihm anschließend zur Flucht aus
einem Gefängnis verholfen.
Armee des Imam
Nach 1980 hatten sich die Gladio-Kräfte
des politischen Islam als Gegengewicht zur Linken bedient, sie hatten 1993
einen islamistischen Mob in Sivas zum Pogrom an
dutzenden alevitischen Intellektuellen angestachelt
und in Kurdistan die islamistische Hizbullah als
Todesschwadronen gegen die kurdische Befreiungsbewegung eingesetzt. Doch nun
ließen die Wahlerfolge des historischen Führers des politischen Islam in der
Türkei, Necmettin Erbakan, der eine tendenziell antiimperialistische und
antiwestliche Rhetorik pflegte und sich nach seiner Ernennung als
Ministerpräsident einer Koalitionsregierung 1996 um gute Beziehungen zum Iran
und den arabischen Ländern bemühte, bei Militärs und kemalistischen Bürokraten
sowie der NATO die Alarmsignale leuchten. Nachdem die Erbakan-Regierung am 28.
Februar 1997 durch einen postmordernen Pusch zum
Rücktritt gezwungen wurde, wendete sich das Blatt vorübergehend gegen alle
religiösen Kräfte, die sich staatlicher Verfolgung ausgesetzt sahen. Doch Ende
2002 schlug die Stunde der Islamisten mit dem erdrutschartigen Wahlerfolg der
AKP. Die vom jetzigen Ministerpräsidenten und Erbakan-Schüler Recep Tayyip Erdogan und dem jetzigen Staatspräsidenten Abdullah
Gül geführte AKP hatte ihr Programm um alle bei ihren verbotenen
Vorgängerparteien enthaltenen antiwestlichen Programmpunkte gereinigt und
bekannte sich zu NATO, EU-Beitritt und Marktwirtschaft. So konnte die AKP mit
dem Segen von USA und EU als erste religiöse Partei in der Geschichte der
Republik eine Alleinregierung bilden. Doch es mangelte ihr an qualifiziertem
Personal, um die laizistischen Kräfte im Staatsapparat abzulösen. So kam es zum
Bündnis der AKP mit der pantürkisch-islamischen Fethullah-Gülen-Bewegung,
deren gut gebildete Kader sich im Staatsapparat und insbesondere der Justiz
breitmachten. Im Namen der Demokratisierung der Türkei betrieben
Sonderstaatsanwaltschaften nun eine Hexenjagd gegen laizistische, prokurdische
und linke Gegner der AKP. Dabei bedienen sich die Gülen-Juristen illegaler
Abhöraktionen zur Belastung ihrer Gegner, die sich auf Grundlage des
Antiterrorgesetzes mit kafkaesken Anklagekonstrukten
konfrontiert sehen. Hunderte hochrangige Militärs wurden ebenso inhaftiert wie
Tausende Politiker legaler prokurdischer Parteien und Hunderte Studenten,
Journalisten, Mitglieder sozialistischer Parteien und Gewerkschaften. Der
frühere Gülen-Gefolgsmann und Vizedirektor des Polizeinachrichtendienstes
Hanefi Avci hat die in den 70er Jahren begonnene Unterwanderung der Polizei in
seinen autobiografischen Aufzeichnungen ebenso deutlich gemacht wie die
Enthüllungsjournalisten Ahmet Sik und Nedim Sener.
Alle drei Autoren wurden unter fingierten Terrorismusvorwürfen verhaftet und Siks Buch "Die Armee des Imams" – gemeint ist die
türkische Polizei –noch vor Erscheinen verboten. „Gülenisten
sollen die türkische Nationalpolizei dominieren, wo sie als Vorhut der Ergenekon-Ermittlungen
dienen“, meldete laut einem von Wikileaks
veröffentlichten Dokument selbst die US-Botschaft in Ankara nach Washington.
Auffällig ist das Schweigen der US-Regierung zur Verhaftung und Verurteilung
auch hochrangiger NATO-Offiziere im Rahmen des Vorschlaghammer- und Ergenekon-Prozesses.
Grünes Licht aus Washington
Denn es ist
offenkundig, dass die AKP ohne grünes Licht durch die USA nicht in der Lage
gewesen wäre, solche Operationen durchzuführen. Doch in der US-Führung hatte
sich die Überzeugung durchgesetzt, dass die durch Militarismus, Staatsfixiertheit und engstirnigen Nationalismus
verknöcherten kemalistischen Staatsbürokraten die der Türkei zugedachte Rolle
als Trojanisches Pferd der NATO im Nahen Osten nicht mehr erfüllen konnten. Vor
dem Hintergrund des von den USA vorangetriebenen
„Größeren-Mittleren-Osten-Projektes“ wurde eine neue Kraft gebraucht, die die
Masse der Bevölkerung für den neoliberalen Umbau der Türkei gewinnen und
gleichzeitig als Vorbild in die islamische Welt ausstrahlen konnte. Dieser neue
Agent des Westens ist AKP mit der von ihr vertretenen Ideologie einer
türkisch-islamischen Synthese. Der marxistische Politikwissenschaftler Haluk Gerger hatte schon im März 2009 erklärt, bei den Ergenekon-Verhaftungen gehe es in Wirklichkeit um eine
Säuberungsoperation innerhalb der Streitkräfte, um diejenigen Elemente zu
neutralisieren, die der US- Politik kritisch gegenüberstehen. „Einige dieser
Gruppierungen hatten sich auf das verbotene Terrain des
`Antiamerikanismus´ begeben. In
Wirklichkeit handelte es sich dabei aber eher um Kurdenfeindlichkeit, da der
Hauptwiderspruch zwischen diesen Kreisen und den USA deren Politik im Nordirak
war. Die gestattete es der Türkei nämlich nicht mehr, nach Belieben weitere
Verwüstungen in der Region anzurichten. Damit hatten sich diese Gruppen ihr
eigenes Todesurteil ausgestellt, da die USA die einzige Kraft sind, die in der
Türkei die Streitkräfte in Zaun halten kann.“
Bei ihrem Versuch, die Kontrolle über die höheren Ränge der Streitkräfte
wiederzugewinnen, stellten sich die USA an die Seite der AKP-Regierung und
gegen deren kemalistische Rivalen.
Unter der
AKP wurde so zwar die nach dem Ende des Kalten Krieges in dieser Form nicht
mehr benötigte zweitgrößte NATO-Armee als innenpolitischer Faktor der Türkei
ausgeschaltet. Doch anstelle einer Demokratisierung des Landes fand ein Wandel
vom kemalistischen Militärstaat zum neoliberalen Polizeistaat mit religiöser
Fassade statt. Mit dem Ergenekon-Verfahren wurden
zwar einige berüchtigte Exponenten des alten „tiefen Staates“ ausgeschaltet.
Doch gleichzeitig ist der Ergenekon-Prozess der beste
Beweis für die Weiterexistenz eines nunmehr religiös gewandelten „tiefen
Staates“. Symbolhaft für den Wandlungsprozess des "tiefen Staates"
ist dabei die Biographie Fethullah Gülens, der als junger Mann Mitbegründer des vom CIA
geförderten "Vereins zur Bekämpfung des Kommunismus" in Erzurum war,
den Putsch vom 12. September 1980 bejubelte und heute die graue Eminenz
des „grünen Ergenekon“ in der Türkei bildet.
Pantürkischer Nationalismus, fanatischer Antikommunismus und eine Nähe zu den
USA ziehen sich dabei wie ein roter Faden durch das Leben des heute in
seinem selbstgewählten Exil im US-Bundesstaat Pennsylvania lebenden
pensionierten Imam, der vom Time-Magazin unter die 100 wichtigsen
Persönlichkeiten der Welt gezählt wird und aufgrund seines immensen Einflusses
auf die türkische Politik als "schattenhafter Puppenspieler"
charakterisiert wird.
Ergenekon östlich des Euphrat
Der
Abgeordnete der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Altan Tan hat nach
Abschluss des Ergenekon-Verfahrens dem türkischen
Parlament eine Petition vorgelegt, um einen Untersuchungsausschuss über die
Rolle der Ergenekon-Kräfte in Kurdistan einzusetzen.
„Der Staat hat keinerlei Schritte unternommen, dies aufzuklären, obwohl die PKK
mehrfach angeboten hat, ihr diesbezügliches Wissen zu teilen.“ Die illegalen Ergenekon-Aktivitäten seien nicht auf Ankara und Istanbul
beschränkt gewesen, sondern die Gruppe sei auch östlich des Euphrat unter dem
Namen JITEM aktiv gewesen, begründete Tan seinen Vorstoß. Während die Ergenekon-Ermittlungsakten Tausende Seiten vermeintlicher
und tatsächlicher Aktivitäten des „tiefen Staates“ in der Westtürkei enthalten,
wird die Rolle dieser Kräfte in Kurdistan ausgeblendet. Zwar wurden
JITEM-Gründer Veli Kücük und andere Mitglieder dieses selbst nach türkischen
Gesetzen illegalen Geheimdienstes jetzt verurteilt. Doch die Verurteilung
erfolgte wegen angeblicher Putschpläne gegen die AKP, während die extralegalen
Hinrichtungen in Kurdistan keine Rolle im Ergenekon-Verfahren
spielten.
Nur wenige
der zahlreichen Massengräber in Kurdistan wurden bislang geöffnet. Kein einziger
Politiker, der während des „schmutzigen Krieges“ in den 90er Jahren
Regierungsverantwortung hatte, wurde bislang zur Vrantwortung
gezogen. Verwunderlich ist das nicht. Schließlich hat die AKP in ihrem
repressiven Umgang mit der kurdischen Frage das Erbe ihrer Vorgängerregierungen
angetreten. Noch vor drei Jahren hat Erdogan eng mit dem jetzt als Ergenekon-Führer verurteilten Generalsstabschef Ilker Basbug bei der militärischen Niederschlagung des kurdischen
Aufstandes kooperiert. Und bis heute verhindert die AKP-Regierung, dass die für
das Massaker von Roboski – der Bombardierung von 34
kurdischen Zivilisten durch die türkische Luftwaffe Ende 2011 –
Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Solange die Verbrechen
während des Krieges in Kurdistan nicht umfassend aufgeklärt werden und die
Unterdrückungs- und Verleugnungspolitik gegen die Kurden fortgesetzt wird, wird
auch die 100-jährige Tradition von Geheimbündelei und Putschismus
im Staat nicht überwunden werden können.
Aus:
Kurdistan Report Nr. 169 September/Oktober 2013