Aus: junge
Welt 01.12.2018, Seite 11 /
Feuilleton
Oana muaß sein Kohlrabi
herhalten
Radikaler Gesinnungsethiker: Vor 125 Jahren wurde der
Revolutionär und Dramatiker Ernst Toller geboren
Von Nick Brauns
Als einen »Dichterpartisanen« bezeichnete der
Schriftsteller Ilja Ehrenburg den Dramatiker und Sozialisten Ernst Toller,
dessen Geburtstag sich am heutigen Samstag zum 125. Mal jährt. Obwohl Toller
ein »außergewöhnlich sanftmütiger« Mensch gewesen sei, habe er sich stets den
Härten des Lebens gestellt. Die Verarbeitung dieses Widerspruchs zwischen
Sanftmut und Härte, zwischen der Moral des einzelnen und dem Begehren der
Masse, zwischen hehren Zielen und schmutzigen Mitteln durchzieht das Werk des
erfolgreichsten Bühnenautors der Weimarer Republik.
Geboren wurde Toller am 1. Dezember 1883 als Sohn
eines wohlhabenden jüdischen Kaufmannes in Samotschin
(heute Szamocin, Polen). Als Kriegsfreiwilliger
erlebte er die Schrecken des Stellungskrieges bei Verdun. Nach einem
Zusammenbruch wurde Toller 1917 als nicht mehr kriegstauglich eingestuft; er
ging zum Studium nach München und schloss sich dort einem Kreis von
Kriegsgegnern an, der sich wöchentlich in einem Wirtshaus traf. Auf den
Versammlungen, die vom bayerischen Vorsitzenden der Unabhängigen
Sozialdemokratischen Partei (USPD), Kurt Eisner, geleitet wurden, lernte Toller
politische und literarische Weggefährten wie den anarchistischen Dichter Erich
Mühsam und den angehenden Schriftsteller Oskar Maria Graf kennen.
Am 7. November jagten Arbeiter, Bauern und Soldaten
unter Führung Eisners den bayerischen König vom Thron. Eisner wurde zum
Ministerpräsidenten des von ihm ausgerufenen Freistaates Bayern. Im Februar
1919 wurde er von einem völkischen Terroristen ermordet; die Ausrufung der
Räterepublik erlebte er nicht mehr. Toller indes stand nun an der Spitze des
»Revolutionären Zentralrates«. Ein Putschversuch konterrevolutionärer
Truppeneinheiten konnte nur mit Hilfe der bis dato abseits stehenden
Kommunistische Partei und ihrer Arbeitermilizen abgewehrt werden. Eine zweite,
nunmehr kommunistische Räterepublik wurde ausgerufen. In dieser wurde Toller
von einer Vertrauensleuteversammlung zum Oberkommandierenden der bayerischen
Roten Armee im Münchner Westen bestimmt. In seiner Autobiographie beschreibt
Toller, wie ein alter Krupp-Arbeiter diese Entscheidung ihm gegenüber
begründete: »Oana muaß sein
Kohlrabi herhalten, sonst gibt’s an Saustall, und wennst
nix vastehst, wirst es lerna.
Die Hauptsach is, Dich
kennen wir.« Kurzfristig gelang es Tollers
Rotarmisten, bei Dachau die Freikorps zurückzuwerfen. Doch Anfang Mai wurde die
isolierte Münchner Räterepublik blutig zerschlagen. Dass Toller, auf den ein
Kopfgeld von 10.000 Mark ausgesetzt worden war, ein Todesurteil wegen
Hochverrats erspart blieb, verdankte er der Fürsprache des bekannten Soziologen
Max Weber, der seinem ehemaligen Studenten als Zeuge vor Gericht die »absolute
Lauterkeit« eines »radikalen Gesinnungsethikers« attestierte.
In fünf Jahren Festungshaft entstanden einige von
Tollers erfolgreichsten Bühnenwerken, wie »Masse Mensch«, »Die
Maschinenstürmer« und »Der Hinkemann«, von den
Premieren konnte der Gefangene nur in der Zeitung lesen. Zu seinem
expressionistischen Revolutionsdrama »Masse Mensch« erklärte Toller später:
»Nur wenige erkannten, dass der Kampf zwischen Individuum und Masse sich nicht
nur draußen abspielt, dass jeder in seinem Inneren Individuum und Masse
zugleich ist. Als Individuum handelt er nach der als Recht erkannten
moralischen Idee. Ihr will er leben, und wenn die Welt dabei untergeht. Als
Masse wird er getrieben von sozialen Impulsen und Situationen, das Ziel will er
erreichen, auch wenn er die moralische Idee aufgeben muss. Dieser Widerspruch
ist heute noch für den politisch Handelnden unlöslich, und gerade seine Unlöslichkeit wollte ich zeigen.«
Nach der Haftentlassung am 15. Juli 1924 und der
unverzüglichen Ausweisung des preußischen Staatsbürgers aus Bayern war Toller
ein gefeierter Dramatiker. So eröffnete die Piscator-Bühne im Theater am
Nollendorfplatz in Berlin 1927 mit Tollers Geschichtsrevue »Hoppla, wir leben!« Vor Hitlers Machtübernahme emigrierte Toller im Angesicht
der drohenden Gefahr nach Zürich. In seiner dort veröffentlichten
Autobiographie »Eine Jugend in Deutschland« schrieb er, der »Zusammenbruch von
1933« müsse durch Vermittlung der Ereignisse von 1918/19 begreifbar gemacht
werden. Und er rechnete dabei ab mit »Republikanern, die die Republik ihren Feinden
auslieferten«, »Revolutionären, die über Thesen und Parolen den Willen des
Menschen und seine Entscheidung vergaßen«, und »Realpolitikern, die taub waren
für die Magie des Wortes, blind für die Macht der Idee, stumm vor der Kraft des
Geistes«.
Die Nazis bürgerten Toller aus und warfen seine Bücher
auf den Scheiterhaufen. Stationen seines Exils waren Paris, London und die USA.
Schier unermüdlich setzte sich Toller, der seit langem unter depressiven
Schüben litt, für andere Flüchtlinge und in Deutschland Zurückgebliebene ein.
Dabei raubte ihm der Aufstieg des Faschismus den Lebensmut. Drei Tage, nachdem
der spanische Faschist Franco seinen Sieg gefeiert hatte, erhängte sich Toller
am 22. Mai 1939 in einem Zimmer im Mayflower Hotel in
New York mit einem Strick, den er seit Jahren in seinem Koffer mitgeführt
hatte.