Aus: junge Welt Ausgabe vom 05.10.2017, Seite 6 / Ausland

Politisches Chamäleon

Der kurdische Politiker und frühere irakische Präsident Dschalal Talabani starb in Deutschland an einem Schlaganfall

Von Nick Brauns

Der irakisch-kurdische Politiker Dschalal Talabani ist tot. Der frühere irakische Präsident starb am Dienstag im Alter von 83 Jahren an einem Schlaganfall in Deutschland, wo er sich zur medizinischen Behandlung befand. Über 50 Jahre hatte »Mam Dschalal« (Onkel Dschalal), wie er bereits als Jugendlicher von seinen Freunden genannt wurde, die Geschicke des Irak maßgeblich mitgestaltet. Talabani war ein politisches Chamäleon. Seine häufig wechselnden Allianzen, die sich auch gegen andere kurdische Parteien richteten, waren stets von der opportunistischen Maxime »Der Feind meines Feindes ist mein Freund« bestimmt.

Dschalal Talabani wurde am 12. November 1933 im Dorf Kelkan nordöstlich von Sulaimanija als Sohn eines einflussreichen Klanführers geboren. Bereits als 13jähriger engagierte sich Talabani in einer im Untergrund aktiven Schülergruppe. Als 18jähriger war er in den Reihen der von Mollah Mustafa Barsani geführten Demokratischen Partei Kurdistans (DPK), in deren Politbüro er 1955 gewählt wurde. Er wandte sich in dieser Zeit dem Sozialismus zu, übersetzte die Schriften Mao Zedongs ins Kurdische und traf sich in China mit Premierminister Zhou Enlai. Nach dem Sturz des haschemitischen Königshauses 1958 kehrte Talabani in den Irak zurück und beendete in Bagdad sein Jurastudium.

In den 1960er Jahren beteiligte sich Talabani am Kampf von Barsanis Peschmerga für kurdische Autonomie. Doch 1975 erlitten diese eine vernichtende Niederlage, nachdem US-Außenminister Henry Kissinger seine bisherigen kurdischen Verbündeten fallengelassen hatte. Während der geschlagene Barsani in die USA floh, wo er bald darauf starb, gründete Talabani aus mehreren linksgerichteten Gruppen die Patriotische Union Kurdistans (PUK). Im Unterschied zur DPK, die sich vor allem auf ländliche Stammeskurden stützte, verfügte die sozialistisch orientierte PUK über eine stärkere städtische Anhängerschaft.

Während des Iran-Irak-Krieges 1980 bis 1988 stellte sich Talabani zuerst auf die Seite der irakischen Zentralregierung im Kampf gegen seinen Konkurrenten Masud Barsani, um sich dann aber mit Teheran gegen Bagdad zu verbünden. Mit verheerenden Folgen für die irakischen Kurden: So erfolgte der Giftgasangriff der irakischen Luftwaffe auf die irakisch-kurdische Stadt Halabdscha, der im März 1988 über 5.000 Zivilisten das Leben kostete, nachdem PUK-Peschmerga die vorübergehende Einnahme der Stadt durch iranische Truppen ermöglicht hatten.

Unter dem Schutz der von Washington nach Ende des US-geführten Golfkrieges 1991 errichteten Flugverbotszone bildeten DPK und PUK zwar eine gemeinsame kurdische Regionalregierung. Doch die Spannungen zwischen den beiden Parteien eskalierten 1994 zu einem vierjährigen Bürgerkrieg mit Tausenden Toten. Nachdem Barsani die irakische und türkische Armee zur Hilfe geholt hatte, konnte sich Talabani nur dank iranischer Militärhilfe halten.

Nach dem Sturz des irakischen Präsidenten Saddam Hussein wurde Talabani als erster Nichtaraber im Jahr 2005 zum Präsidenten des Irak gewählt. Obwohl Talabani die US-Kriegsführung kritisierte, erwies er sich als zuverlässiger Verbündeter von US-Präsident George W. Bush. Allerdings weigerte er sich mit der Begründung, als Sozialist ein prinzipieller Gegner der Todesstrafe zu sein, die Todesurteile gegen Saddam Hussein und den früheren irakischen Außenminister Tarik Aziz zu unterschreiben. Nach einem ersten Schlaganfall 2012 zog sich Talabani aus der Öffentlichkeit zurück, sein Nachfolger als irakischer Präsident wurde 2014 der Kurde Fuad Masoum. In der von ihr kontrollierten Region um Sulaimanija und Halabdscha hat die vom Talabani-Clan geführte PUK ein ähnlich korruptes und autoritäres Regime wie die konkurrierende DPK errichtet.

Präsident Barsani verkündete eine einwöchige Staatstrauer für seinen langjährigen Mit- und Gegenspieler. Auch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), gegen deren Guerilla Talabanis Peschmerga in den 90er Jahren gekämpft hatten, würdigte »Mam Dschalal« als »einen wichtigen Freund unserer Freiheitsbewegung«.