Junge Welt 17.08.2013
/ Geschichte / Seite 15
Kolonialräuber
Vor 125 Jahren begann der Aufstand gegen die deutsche
Kolonialherrschaft in Ostafrika
Von Nick
Brauns
Ein
»Privatreich nach seinem Geschmack« wollte sich der deutsche Kolonialabenteurer
Carl Peters in Ostafrika errichten. Durch Drohungen und Bestechung hatte er –
wegen seiner Grausamkeiten gegenüber der einheimischen Bevölkerung »Hänge-Peters«
genannte – ab 1884 eine Reihe von Stammesführern auf dem Gebiet des heutigen
Tansania zum Abschluß von »Unterwerfungsverträgen«
genötigt. Die Ausplünderung dieses Kolonialbesitzes sollte die
»Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft« (DOAG) betreiben. Der deutsche
Reichskanzler Otto von Bismarck stand dem Erwerb von Kolonien allerdings noch
ablehnend gegenüber, da dies das Verhältnis des jungen Reichs zu den anderen
Großmächten gefährdete. Doch nach einer Einigung mit Großbritannien über die gegenseitigen
Interessenssphären in Ostafrika stellte die Reichsregierung der DOAG einen
Schutzbrief aus, mit dem sie deren Stützpunkte als privat geführte Kolonie
anerkannte. Da die DOAG bislang nur im Landesinneren vertreten war, drängte die
deutsche Diplomatie im April 1888 den über das Küstengebiet herrschenden Sultan
von Sansibar zum Abschluß eins Pacht- und
Konzessionsvertrags. Mit dem erhielt die DOAG ab dem 15. August Hoheitsrechte
an der Küste, Steuer- und Zollhoheit sowie uneingeschränkte Verfügungsrechte
über Grund und Boden. Dies stieß auf dem Widerstand der – von deutscher Seite
pauschal als Araber bezeichneten – alteingesessenen swahelisprachigen
muslimischen Schirazi-Familien, die bis dahin den
Fernhandel kontrolliert hatten, sowie osmanisch-arabischer Plantagenbesitzer in
der Küstenregion.
Arrogante Kolonialherren
Das
arrogante Auftreten der DOAG-Kolonialherren, die nun neben der Flagge des
Sultans die Flagge der Kolonialgesellschaft aufzogen, entflammte einen
Volksaufstand, dem sich die Masse der Küstenbevölkerung und des unmittelbaren
Hinterlandes anschloß. Die Revolte brach in Pangani aus und verbreitete sich nordwärts bis nach Tanga
und südwärts nach Bagamyo, Kilwa,
Lindi und Mikindani.
Einen Auslöser lieferte der DOAG-Vertreter Emil von Zelewski,
als er während des islamischen Opferfests mit Stiefeln und in Begleitung seiner
Hunde eine Moschee in Pangani betrat und diese damit
in den Augen der Gläubigen entweihte. Die Fahne der DOAG konnte in Pangani erst nach der Landung deutscher Marinesoldaten gehißt werden. Als Zelewski wenig
später die Landung von Schießpulver für die Einheimischen verbot, wurde er von
einer wütenden Menschenmenge in seinem Haus festgesetzt, bis ihn Soldaten des
Sultans befreiten. In Tanga mußten Soldaten des
deutschen Kreuzers Möwe die dortigen DOAG-Vertreter mit Waffengewalt befreien,
während in Kilwa zwei DOAG-Angestellte getötet
wurden.
»Vom Sultan von Sansibar haben wir keinen Beistand zu erwarten, da er das
ostafrikanische Land an die Deutschen verraten hat«, erklärte der in
Deutschland als »Buschiri« bekanntgewordene Anführer
des Aufstandes, Abushiri Ibn Salim Al-Harthi. »Deshalb haben mich die Unzufriedenen jetzt zu
ihrem Führer gemacht, und ich werde den Europäern zeigen, daß
ich eine eiserne Faust habe.« Der in den 1830er Jahren
wohl als Sohn eines Arabers und einer afrikanischen Sklavin geborene
Plantagenbesitzer Buschiri wurde von europäischen
Zeitgenossen als charismatische Persönlichkeit und »Ehrenmann, der niemals sein
Wort gebrochen hat«, geschildert. Daß er selber
»Sklavenhändler« war, wie die deutsche Kolonialpropaganda behauptete, ist nicht
erwiesen.
Aufstand niedergeschlagen
Die
Reichsregierung rechtfertigte den Kolonialkrieg damit, gegen »arabische
Sklavenhändler« vorzugehen. Doch die Masse der Bauern, Handwerker, Händler und
Sklaven hatte ihre eigenen Gründe zur Revolte. Die DOAG-Vertreter »benahmen
sich völlig rücksichtslos, rissen Flaggen herab und hißten
andere auf, gaben uns Befehle und Vorschriften und benahmen sich überhaupt, wie
wenn sie die Herren des Landes und wir alle ihre Sklaven seien«, erklärte Buschiri dem von ihm gegen Lösegeld verschleppten Wiener Afrikaforscher Oscar Baumann. »Wir sahen der Sache eine
Weile zu, dann jagten wir die Weißen einfach fort, wie man übermütige Jungen
fortjagt.«
Nachdem die DOAG nur noch ihre Stationen Bagamoyo und
Daressalam mit Hilfe von Marinesoldaten halten konnte, richtete die
Kolonialgesellschaft ein offizielles Hilfeersuchen an die Reichsregierung.
Diese vereinbarte mit Großbritannien im November 1888 eine Seeblockade der
ostafrikanischen Küste gegen die Einfuhr von Kriegsmaterial und die Ausfuhr von
Sklaven. Nachdem der Reichstag im Januar 1889 zwei Millionen Reichsmark »zur
Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutze der deutschen Interessen in Ostafrika«
genehmigt hatte, wurde der afrikaerfahrene Offizier
Hermann von Wissmann als Reichskommissar zur Niederschlagung des Aufstandes
entsandt. Die 800 Mann starke, mehrheitlich aus Askari-Söldnern aus dem Sudan
und Portugiesisch-Afrika (Moçambique) gebildete
»Wissmann-Truppe« eroberte die Küstenstädte und schlug dann Buschiris
Freiheitskämpfer in der Kingani-Ebene. Der Anführer
des Aufstandes geriet im Dezember 1889 auf dem Weg nach Mombasa in
Gefangenschaft und wurde am 15. Dezember öffentlich gehängt. Die von Wissmann
betriebene Eroberung des Landes hatte Tausenden Afrikanern das Leben gekostet.
Carl Peters war aufgrund seines Abenteuerertums und
seiner Mißwirtschaft für die um einen Ausgleich mit
Großbritannien bemühten Kreise des Großkapitals nicht länger tragbar. Er mußte 1889 das Direktorium der DOAG verlassen. Nachdem das
Deutsche Reich und Großbritannien sich im Helgolandvertrag vom 1. August 1890
auf die Grenzziehung in Ostafrika geeinigt hatten, wurde das bisherige deutsche
Schutzgebiet ab dem 1. Januar 1891 zur kaiserlichen Kronkolonie
Deutsch-Ostafrika.
Antisklaverei-Bewegung propagiert Kolonialkrieg
Die
Kolonialkriege des Deutschen Reichs in Ostafrika firmierten Ende der 1880er
Jahre unter dem Banner des »Kampfs gegen den arabischen Sklavenhandel«. Zwar
war der Sklavenhandel seit 1850 aufgrund der Antisklavereipolitik
der führenden Kolonialmacht Großbritanniens rückläufig. Doch auf der Berliner
Kongokonferenz 1885, auf der 14 Kolonialmächte ihre Einflußsphären
auf dem afrikanischen Kontinent absteckten, gaben sich die Kolonialräuber mit
der Abschlußakte einen humanitären Anstrich, in dem
sie sich verpflichteten, »an der Unterdrückung der Sklaverei und insbesondere
des Negerhandels mitzuwirken«. Nachdem der französische Kirchenfürst Kardinal
Charles Lavigerie einen »heiligen Krieg« aller
Kolonialmächte gegen die »Muselmänner, für welche die Sklavenjagd ein Recht und
fast eine Pflicht« sei, forderte, erließ Papst Leo XIII. 1888 eine Enzyklika
gegen die Sklaverei.
Der ehemalige Leiter der evangelischen Rheinischen Mission in Barmen, Friedrich
Fabri, richtete im Oktober 1886 ein Memorandum an
Bismarck, in dem er die Antisklaverei-Bewegung als »praktischen Gegenstand von
unmittelbar populärer Kraft« bewarb, dem sich die evangelische wie die katholische
Bevölkerung gleichermaßen nach der »Verhärtung des konfessionellen Gegensatzes«
durch den Kulturkampf zuwenden könne. Wenn diese Bewegung in weiteste
Volkskreise getragen würde, müsse auch die katholische Zentrumspartei, die der
Kolonialpolitik bislang ablehnend gegenüberstand, »mit einer gewissen
Begeisterung für eine afrikanische Expedition eintreten«, hoffte der
Kolonialstratege.
Bismarck willigte ein und frage: »Kann man nicht schaurige Details über
Menschenquälerei auftreiben?« Unterstützt durch die
vom Großkapital finanzierte Deutschen Kolonialgesellschaft initiierte Fabri nun eine durch Greuelpropaganda
in der Presse befeuerte »Volks-Kampagne«. Als Galionsfigur dient der als »Afrikaforscher« titulierte Offizier Hermann von Wissmann,
der etwa am 27. Oktober 1888 in Köln auf einer Versammlung des »Vereins zur
Bekämpfung des Sklavenhandels« Schauergeschichten von seinen Afrikareisen erzählte.
Fabris Plan ging auf. Um »Afrika für christliche
Gesinnung zu gewinnen«, brachte ausgerechnet das Zentrum am 14. Dezember 1888
eine Haushaltsvorlage »zur Unterdrückung des Sklavenhandels und zum Schutz der
deutschen Interessen« in den Reichstag ein, die im Januar 1889 gegen die
Stimmen der Linksliberalen und Sozialdemokraten zwei Millionen Reichsmark für
den Kolonialkrieg freigab.
Es sei äußerst bedenklich, auf die seit Jahrtausenden bestehende Sklavenarbeit
ohne weiteres zu verzichten, warnte Bismarck kurz darauf sowie vor einer
Gefährdung deutscher Interesse, sollte nicht nur der Sklavenhandel, sondern die
Institution der Sklaverei generell in Frage gestellt werden. Der Besitz von
Haus- und Trägersklaven wurde von der deutschen Kolonialverwaltung bis 1918
gebilligt. Daneben etablierte sich über die Politik des »Loskaufs« das
wirtschaftlich rentablere System kolonialer Zwangsarbeit