Junge Welt 13.04.2013
/ Geschichte / Seite 15
Die Kornwalzer-Affäre
Vor 100 Jahren entlarvte Karl Liebknecht die
Machenschaften des Krupp-Konzerns
Von Nick
Brauns
Im April 1913 debattierte der
Reichstag über eine von der Reichsregierung beantragte massive Rüstungsvorlage.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Karl Liebknecht nutzte das Podium, um mit
den Machenschaften des Rüstungskapitals abzurechnen, das für seine Profite
einen Krieg regelrecht herbeisehnte. »Wir haben niemals daran gezweifelt, daß das Kapital vaterlandslos ist, und zwar um so
vaterlandsloser, je patriotischer es sich gebärdet«, drehte Liebknecht den
sonst von den Rechtsparteien auf die Sozialdemokraten gemünzten Vorwurf der
»Vaterlandslosen Gesellen« um.
Dann behauptete der Sozialist Ungeheurliches über die
sich stets als besonders patriotisch gebärdende Essener Kanonenschmiede Alfred
Krupp, die ihre ein Jahrhundert währende Zusammenarbeit mit dem
preußisch-deutschen Heer lobte. »Die berühmte Firma nutzt ihre Geldmacht
systematisch dazu aus, um höhere und niedere preußische Beamte zum Verrat
militärischer Geheimnisse zu verleiten.«
Liebknecht enthüllte nun die Existenz eines vom ehemaligen Offizier M. Brandt
in der Berliner Krupp-Vertretung aufgebauten Agentennetzwerks. Gegen großzügige
»Gratifikationen« hatten diese V-Leute im Kriegsministerium, in der
Feldzeugmeisterei und der Artillerieprüfkommission vertrauliche Schriftwechsel
der Behörden mit anderen Rüstungsfirmen, geheime Testberichte und Memoranden
über geplante Beschaffungsprogramme, aber auch für Erpressungsmanöver
geeigneten Klatsch und Tratsch geliefert. Mit Hilfe dieser unter dem Kennwort
»Kornwalzer« verfaßten Spitzelberichte konnte sich
Krupp seinen Vorsprung bei der Vergabe von Rüstungsaufträgen sichern.
Als Konsequenz forderte Liebknecht die Verstaatlichung der Rüstungsindustrie,
um diejenigen zu stoppen, die neben dem deutschen Heer zugleich das Ausland
hochrüsteten und die »Zwietracht der Völker zu Gold münzen«. Warnend endete er
mit den Worten: »Das Vaterland ist in Gefahr! Es ist aber nicht in Gefahr vor
dem äußeren Feinde, sondern vor jenen gefährlichen inneren Feinden, vor allem
vor der internationalen Rüstungsindustrie.«
750 Dossiers
Der Glücksfall, der es Liebknecht gestattete, »in das Geheimkabinett des
Kapitalismus so hineinzuleuchten«, bestand in 15 Kornwalzer-Dossiers, die ihm
im Herbst 1912 anonym von einem über seine Entlassung erzürnten Krupp-Direktor
zugeleitet wurden. Um nicht etwa einer Fälschung aufzusitzen, übergab
Liebknecht das Material zuerst Kriegsminister Josias
von Heeringen zur Prüfung. Dieser mußte
am 6. Februar 1913 Kaiser Wilhelm II. über die anstehende Verhaftung von
mehreren Beamten des Kriegsministeriums in Kenntnis setzen. Bei Razzien in der
Berliner Krupp-Vertretung, der Krupp-Zentrale in Essen und der Heeresverwaltung
wurden rund 750 Kornwalzer-Dossiers der zurückliegenden Jahre gefunden.
Fanden diese Ermittlungen noch im geheimen statt, so wirkte Liebknechts
Enthüllungsfeldzug im Reichstag wie ein Schock. »Das Idol des
Hurrapatriotismus, der im Nimbus einer schrankenlosen Gnade, ja Liebe der
kaiserlichen Majestät verklärte Krupp, die Zierde und der Ruhm Deutschlands,
der heiligste Nationalheilige, lag im Staub niederer kapitalistischer
Menschlichkeit«, höhnte Liebknecht im Vorwärts. Der Krupp-Vorstandsvorsitzende
Alfred Hugenberg – ein Gründungsmitglied des
aggressiv-nationalistischen Alldeutschen Verbandes – war bereits nach
Liebknechts erster Rede nach Berlin geeilt, um die weiteren Beratungen des
Parlaments von der Reichstagstribüne persönlich zu verfolgen und auf die
Abgeordneten und die Presse einzuwirken.
Zwar wurden juristische Voruntersuchungen auch gegen Hugenberg
geführt. Doch angeklagt wurden schließlich nur niedere Beamte des
Kriegsministeriums und leitende Angestellte der Firma Krupp. Bei Prozessen im
Sommer und Herbst 1913 wurden unter anderem Brandt und der Essener
Krupp-Direktor Otto Eccius zu geringfügigen Strafen
verurteilt. »Was aufgedeckt werden sollte, die große internationale, mit
Milliardeninteressen die ganze Welt umspannende Zusammenarbeit von
Waffenindustrie und hohen und höchsten Kreisen, das hat sich im Gerichtssaal in
das Vergehen einiger subalterner Angestellter verwandelt«, beklagte
Friedensnobelpreisträgerin Bertha von Suttner die Prozeßfarce.
»Die eigentliche, unheimliche Frage von der Verbindung der Kriegsfurchtmache
mit der Kriegswerkzeug-Industrie – die ist gar nicht zur Sprache gekommen.«
Brave Kommission
Auch eine von der Reichstagsmehrheit geforderte parlamentarische
Untersuchungskommission zur Prüfung der Rüstungslieferungen diente lediglich
der Beruhigung der Öffentlichkeit. »Die Verhandlungen müssen m. E. von
vornherein darauf angelegt werden, daß eine
Erörterung darüber, ob Mißstände bei
Rüstungslieferungen vorliegen, ausgeschieden und im wesentlichen allgemeine
Fragen wirtschaftlicher Natur erörtert werden«, stellte Innenstaatssekretär
Clemens von Delbrück bei einer Vorbesprechung der Regierung klar. Entsprechend
widersetzte sich die Regierung vehement der Ernennung Liebknechts als
Kommissionsmitglied. Dieser habe »sich in die Rolle von Zola mit dem berühmt
gewordenen j’accuse (ich klage an, d. Red.) begeben.
Die öffentliche Meinung würde es nicht verstehen, wenn der Reichskanzler Dr.
Liebknecht in diese Kommission berufe«, argumentierte das Reichsamt des Inneren
gegenüber der SPD-Fraktion. Da die Regierung bei ihrem Veto gegen Liebknecht
blieb, zog die SPD am 13. November auch ihren zweiten Obmann, den als
militärfreundlich bekannten Gustav Noske aus der
Kommission zurück.
Neben Vertretern der Reichstagsparteien gehörten der Kommission Vertreter des
Großkapitals wie der Vorsitzende des Direktoriums der Hamburg-Amerika-Linie,
Albert Ballin, der Generaldirektor des
Chemieunternehmens Bayer, Carl Duisberg, sowie Deutsche-Bank-Direktor Karl Helfferich an. »Die Zusammensetzung der Kommission zeigt
auf das deutlichste, daß es ein Trugschluß
wäre, von ihr zu erwarten, mit eisernem Besen den Augiasstall der
Rüstungspatrioten auszukehren«, hieß es in der sozialdemokratischen Bergischen
Arbeiterstimme. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.«
Liebknecht war durch seinen Feldzug gegen Krupp nun auch im europäischen
Ausland als Antimilitarist bekannt geworden – er nutzte dies zur Vertiefung der
Zusammenarbeit mit französischen und britischen Sozialisten angesichts des
drohenden Krieges.
Alfred Hugenberg wiederum war durch die von den
Medien breit aufgegriffene Kornwalzer-Affäre in seinem Entschluß
bestärkt worden, systematisch die Presse im Interesse des Großkapitals zu
beeinflussen. Mit dem Aufkauf mehrerer Nachrichtenagenturen, des Scherl-Verlags sowie der zur Beeinflussung der Presse durch
Anzeigen gegründeten »Auslands GmbH« legte Hugenberg
1913/14 den Grundstein für sein späteres Presseimperium. Dieses flankierte
durch seine chauvinistische und antisemitische Ausrichtung wesentlich den
Aufstieg der Nazipartei in der Weimarer Republik.
Quelle:
Internationale des Rüstungskapitals
Rede von Karl Liebknecht im
Reichstag am 18. April 1913:
Das sind dieselben Kreise, die die Zwietracht der Völker zu Gold münzen. Ob sie
in Deutschland oder in Frankreich sind, sie haben die gleichen Interessen. Die
Steigerung der Rüstungen in Frankreich wirkt nicht so auf die deutschen
Konkurrenten, wie die Steigerung einer anderen Konkurrenzindustrie sonst zu
wirken pflegt; diese »Konkurrenten« arbeiten Hand in Hand. Unsere Krupp, Stumm
und Genossen, Waffen- und Munitionsfabriken können nichts Besseres wünschen,
als daß in Frankreich tüchtig gerüstet wird, weil
auch sie dann tüchtig Arbeit bekommen und viel Geld verdienen. Das sind
dieselben Leute, für die Zwietracht zwischen den Völkern säen und schüren,
gleichviel aus welchem Grunde, Geld verdienen heißt. Das sind dieselben Leute,
deren Profit völlig unbeeinflußt ist von dem Anlaß eines Zwistes zwischen den Völkern und seinem
Erfolge, bei denen die Höhe des Profits schlechthin proportional ist dem Grade
der Zwietracht, des Hasses zwischen den verschiedenen Völkern. (…) Die
Verstaatlichung der gesamten Rüstungsindustrie muß
auch um deswillen in aller Eile durchgeführt werden, koste es, was es wolle,
weil es nur damit möglich ist, eine Interessentenklasse auszumerzen, deren
Existenz eine ständige Kriegsgefahr für die ganze Welt bedeutet, und damit eine
Wurzel des Rüstungswahnsinns und eine Wurzel des Völkerzwistes zu vernichten.
aus: Karl Liebknecht, Gesammelte Reden und Schriften,
Bd. VI, S. 267–270