Aus: junge Welt
Ausgabe vom 20.02.2015,
Seite 7 / Ausland
Militarisiertes Großprojekt
Türkische Regierung nimmt Arbeiten am Ilisu-Staudamm in kurdischer Provinz Batman wieder auf
Von Nick
Brauns
Die
türkische Regierung will den Weiterbau des Ilisu-Staudammes
am Oberlauf des Tigris auch gegen den Willen eines Großteils der örtlichen
Bevölkerung durchsetzen – mit militärischer Gewalt. Zusätzlich zu den 1.000
Soldaten, die bereits um die Baustelle in der kurdischen Provinz Batman
stationiert waren, hat das Militär in den vergangenen Wochen weitere 600 in die
Region entsandt. Zudem wurden mehr als 100 Bewohner von umliegenden Dörfern für
Schutzmilizen angeworben, um Störungen des Dammbaus zu verhindern.
Durch die
Aufstauung des Tigris würden rund 200 Dörfer sowie die kulturhistorisch
einzigartige, mindestens 10.000 Jahre alte Kleinstadt Hasankeyf
in den Fluten eines 313 Quadratkilometer großen Stausees untergehen. Während
die AKP-Regierung in Ankara von 15.000 Umsiedlungen spricht, gehen
Weltbankexperten von einer doppelt so hohen Zahl aus. Nach Schätzungen von
Staudammgegnern werden sogar bis zu 65.000 Bewohner der Region durch die
Überflutung ihrer Felder und Dörfer ihre Existenzgrundlage verlieren. Mit den
Entschädigungen, die die Bewohner von Hasankeyf
erhalten sollen, können sie sich niemals einen der mindestens viermal so teuren
Neubauten im auf der anderen Flussseite aus dem Boden gestampften Neu-Hasankeyf leisten. Die Ankündigung der Regierung, einige
der historischen Monumente in einen zwei Kilometer entfernten Archäologiepark zu retten, stellt sich als technisch nicht
umsetzbar heraus. So meldete sich keine einzige Firma auf die Ende 2014
veröffentlichte Ausschreibung der Staatlichen Wasserbehörde DSI zur Versetzung
des aus dem 15. Jahrhundert stammenden Zeynel Bey
Mausoleums, eines Wahrzeichens der Stadt. Die Aufstauung des Tigris würde zudem
gravierende Folgen für den Irak haben, der vom Tigris-Wasser abhängig ist.
Ursprünglich
sollte der seit den 80er Jahren als Teil des 22 Dämme und 19 Wasserkraftwerke
umfassenden Südostanatolienprojektes (GAP) geplante Ilisu-Damm bereits im
vergangenen Jahr fertiggestellt werden. Doch nachdem Guerillakämpfer der Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) im Sommer vorübergehend zwei dort beschäftigte Arbeiter
entführt und Baufahrzeuge zerstört hatten, kündigten Anfang September Hunderte
Kollegen. Das hatte einen Baustopp bis Jahresende zur Folge. Nachdem sich die
örtliche Bevölkerung geweigert hatte, weiter an der Fertigstellung des Dammes
mitzuwirken, der ihnen anschließend ihre Existenzgrundlage entziehen würde,
wurden Hunderte Beschäftigte aus anderen Provinzen angeworben. Einige von ihnen
werden täglich von Panzerwagen begleitet aus der 13 Kilometer entfernten Stadt Dargecit zur Dammbaustelle gebracht. Anfang Februar
attackierten Guerillakämpfer erneut einen Konvoi mit Baumaschinen, zudem gingen
in der Arbeitersiedlung in Dargecit Dutzende
Fahrzeuge in Flammen auf. »Wir fordern ein Ende des Ilisu-Dammbaus,
weil dieser der Umgebung, der Natur und allen in der Region lebenden Menschen
schadet«, heißt es in einer PKK-Erklärung. Der Weiterbau des Dammes gefährdet
auch den Friedensprozess zwischen der türkischen Regierung und der PKK. Mit der
Aufstauung des Tigris sind Hoffnungen der Regierung verbunden, die
Bewegungsfreiheit der Guerilla einzuschränken.
Neben
militanten Widerstandsgruppen kämpft seit vielen Jahren ein breites Bündnis aus
den von der prokurdischen Partei der Demokratischen Regionen (DBP) regierten
Kommunen, Umweltschutzverbänden, der Architekten- und Ingenieurskammer sowie
bekannten Künstlern gegen den Dammbau. Ercan Ayboga,
Sprecher der Initiative zur Rettung von Hasankeyf,
sieht durch die aktuellen Entwicklungen Befürchtungen bestätigt, dass der Bau
des Ilisu-Dammes »zu einer erheblichen
Militarisierung« der Region sowie »zu entsprechenden
Menschenrechtsverletzungen« führen werde.
Aus: junge
Welt Ausgabe vom 10.09.2014,
Seite 7 / Ausland
Baustopp im Tal
Türkei: Arbeiten an Staudamm nach PKK-Drohungen
vorerst eingestellt. Öcalan vergleicht Talflutung mit Vertreibungen durch IS
Von Nick
Brauns
Der Bau des
umstrittenen Ilisu-Großstaudamms am Oberlauf des
Tigris im kurdischen Südosten der Türkei ist nach Drohungen der Arbeiterpartei
Kurdistans (PKK) vorerst eingestellt worden. Bereits am 23. August wurden die
Arbeiten vorübergehend gestoppt, nachdem Guerillakämpfer Baufahrzeuge zerstört
und vier Angestellte des Bauunternehmens gefangengenommen hatten. Als die
Arbeiten zum 1. September wiederaufgenommen werden sollten, reichten Hunderte
am Bau beteiligte Arbeiter ihre Kündigung ein. Die Baufirma erklärte daraufhin
die vollständige Einstellung der Arbeiten an der Talsperre aus
Sicherheitsgründen. Lediglich Wachpersonal werde noch vor Ort bleiben.
Der Damm sollte nach Planungen der Regierung noch in diesem Jahr fertiggestellt
werden. Er ist Teil des 22 Staudämme und 19 Wasserkraftwerke vorsehenden Südostanatolienprojektes (GAP). Das Tigris-Tal würde dann
auf einer Länge von 135 Kilometern zu einem 313 Quadratkilometer großen
Stausee, in dessen Fluten rund 200 Dörfer sowie die kulturhistorisch
einzigartige 10000 Jahre alte Kleinstadt Hasankeyf
mit ihren historischen Monumenten untergehen würden. Während die Regierung von
15000 Umsiedlungen spricht, gehen Experten der Weltbank bereits von der
doppelten Zahl aus. Staudammgegner schätzen gar, daß
bis zu 65000 Menschen durch die Überflutung ihrer Felder ihre Existenzgrundlage
verlieren.
Auf der anderen Tigris-Seite ist ein Neu-Hasankeyf
aus dem Boden gestampft worden. Doch die Entschädigungszahlungen, die die
Bewohner der alten Stadt erhalten, reichen nicht für den Kauf eines neuen
Hauses. Seit Jahren kämpft ein breites Bündnis aus den von der prokurdischen
»Partei für Frieden und Demokratie« (BDP) regierten Kommunen,
Umweltschutzorganisationen, der Architekten- und Ingenieurskammer sowie
Künstlern wie der kurdischen Sängerin Aynur und dem türkischen Popstar Tarkan
mit Blockaden der Baustelle, Kulturfestivals und juristischen Initiativen gegen
den Staudammbau. Anfang vergangenen Jahres hatte das Oberste Verwaltungsgericht
einen Baustopp für den Staudamm wegen Verstößen gegen die Umweltgesetzgebung
verhängt, doch die islamisch-konservative Regierung in Ankara setzte sich
darüber hinweg. Bei den Kommunalwahlen im März führte die regierende »Partei
für Gerechtigkeit und Aufschwung« (AKP) in Hasankeyf
plötzlich nach einem Stromausfall mit acht Stimmen vor der BDP. Auf einem
Müllhaufen wurden später Säcke mit für die BDP ausgefüllten Stimmzetteln
gefunden.
In der gesamten Türkei will die Regierung in den nächsten zehn Jahren 1738
Wasserkraftwerke bauen und dafür Flüsse auf 10000 Kilometer Länge aufstauen.
Doch es geht bei den Staudämmen nicht nur um Energiegewinnung, sondern auch um
sicherheitsstrategische Überlegungen. Im Grenzgebiet zum Irak werden Täler
geflutet, um die Guerilla am Passieren zu hindern. Zudem zielen
Staudammprojekte auf die Vertreibung rebellisch eingestellter Bevölkerungsteile
wie in der von alevitischen Kurden bewohnten
Bergregion Dersim oder entlang des Tigris-Tals. Am
Wochenende verglich der inhaftierte PKK-Vorsitzende Abdullah Öcalan daher
Vertreibungen und Todesfälle in Zusammenhang mit den Dammbauten gar mit den Vertreibungen
durch die dschihadistischen Banden des »Islamischen
Staates« (IS) in Syrien und im Irak. »Laßt uns unser
Land, unser Wasser und unsere Energie kommunalisieren und ein freies,
demokratisches Leben aufbauen«, forderte Öcalan im Gespräch mit Abgeordneten
der Linkspartei HDP.
Mit dem Baustopp des Ilisu-Dammes infolge der
PKK-Drohungen erfüllt die Türkei allerdings zugleich eine Forderung des IS. Der
hatte nämlich im August angedroht, »Istanbul zu befreien«, sollte die Türkei
weiterhin mit Staudämmen an Euphrat und Tigris Irak und Syrien von der
Wasserzufuhr abschneiden. Das endgültige Ende des Ilisu-Bauprojektes
bedeutet die Suspendierung der Bauarbeiten wohl noch nicht. »Die größeren
laufenden Hydroinvestitionsprojekte Ilisu, Boyabat und Alpaslan-2 werden fertiggestellt«, heißt es im
Energie-Kapitel des Regierungsprogramms des neuen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu.