Junge Welt 29.01.2011
/ Geschichte / Seite 15
Tod auf dem Schwarzmeer
Vor 90 Jahren wurden die Führer der Kommunistischen
Partei der Türkei ermordet
Von Nick
Brauns
Unter dem Eindruck der russischen
Oktoberrevolution hatten sich auch in Anatolien kommunistische Gruppierungen
gebildet. Auch Teile der von Mustafa Kemal geführten Befreiungsbewegung gegen
die Aufteilung der Türkei unter die Westalliierten und ihre Verbündeten
Griechenland und Armenien betrachteten die Bolschewiki als Vorbild und Partner
im Kampf um nationale Unabhängigkeit. Im Anschluß an
den von der Kommunistischen Internationale im aserbaidschanischen Baku
veranstalteten »Kongreß der Völker des Ostens«
gründeten 74 Delegierte am 10. September 1920 die Kommunistische Partei der
Türkei (TKP). Die TKP war ein Zusammenschluß von 15
Organisationen, deren bedeutendste eine von Mustapha Suphi im Kaukasus
gebildete Gruppe ehemaliger türkischer Kriegsgefangener, die in Istanbul aktive
Sozialistische Arbeiter- und Bauernpartei der Türkei und die von Salih Hacioglu geführte Türkische Volkskommunistische Partei in
Ankara waren. Suphi wurde zum Vorsitzenden der Partei gewählt und Ethem Nejat,
ein Mitkämpfer des Spartakusbundes in der deutschen Novemberrevolution, zu
ihrem Generalsekretär.
Kampf um Befreiung
Suphi trat Tendenzen innerhalb der Partei entgegen, die auf eine sofortige
sozialistische Revolution in dem Agrarland mit wenigen zehntausend Industriearbeitern
setzten. Er grenzte sich zugleich von ehemaligen Jungtürken innerhalb der
Partei ab, die im Namen der »Einheit der Nation« den Klassenkampf verwarfen. In
einem Manifest rief die TKP zur aktiven Unterstützung des Befreiungskampfes der
Türkei auf. Obwohl von der Bourgeoise geführt, sei dieser Kampf objektiv
revolutionär und im Interesse des türkischen und internationalen Proletariats,
da er den Weltimperialismus schwäche.
Das Zentralkomitee beschloß, seinen Sitz in das
Zentrum des Befreiungskrieges nach Ankara zu verlegen. Nachdem die Partei am
20. Dezember eine zustimmende Antwort der türkischen Regierung erhalten hatte,
brachen Suphi, Nejat und 13 weitere Kommunisten auf, um Mustafa Kemal die
Unterstützung der »Roten Division« anzubieten.
Doch inzwischen waren die Kemalisten dazu übergegangen, konkurrierende
Strömungen innerhalb der Befreiungsbewegung auszuschalten. So kämpfte neben der
kemalistischen Befreiungsarmee
auch eine vielfältige Partisanenbewegung gegen die Okkupation. Eine von kommunistischen
Revolutionären mitinitiierte »Grüne Armee« verband
urislamische ethische Normen mit sozialrevolutionärem und pantürkischem
Gedankengut. Das Rückgrat ihrer Truppe bildete der ehemalige Brigantenführer »Ethem der Tscherkesse« mit seinen 3000 Kriegern.
Mit ihrer Forderung nach einer Landreform fand die Grüne Armee, die in der
Nationalversammlung über eine einflußreiche Fraktion
verfügte, Zustimmung unter der bäuerlichen Bevölkerung. Dorfkomitees begannen
in einigen Gegenden, das Land auf eigene Faust aufzuteilen. Die Mehrheit in der
Nationalversammlung, die einen Block der nationalen Bourgeoisie mit dem
patriotischen Teil der Großgrundbesitzer vertrat, war nicht bereit, eine
Doppelherrschaft auf dem Land zu dulden und zwang die Grüne Armee im September
1920 zur Selbstauflösung. Als sich Ethem, der eng mit den Kommunisten
kooperiert hatte, dem Beschluß zur Eingliederung der
Partisanenverbände in die Armee gewaltsam widersetzte und schließlich zu den
Griechen überlief, bot dieser Verrat den Kemalisten einen Vorwand zur
Repression gegen die sozialrevolutionären Kräfte. Salih Hacioglu
und weitere Aktivisten der Linken wurden im Januar 1921 inhaftiert. Um dennoch
politische Militante der Grünen Armee einzubinden und gegenüber Moskau eine
scheinbare Sympathie für den Kommunismus zu signalisieren, ließ Mustafa Kemal
eine staatlich finanzierte Offizielle Kommunistische Partei gründen, die Panturkismus und »nationalen Kollektivismus« als Weg zum
Kommunismus pries.
Als Suphi und seine Genossen Ende Dezember 1920 die russisch-türkische Grenze
überschritten, hatte die Regierung in Ankara angesichts der zugespitzten
Auseinandersetzungen innerhalb der Nationalbewegung bereits beschlossen, die
Gruppe wieder zurück nach Baku zu schicken. In Kars
wurden sie zwar am 28. Dezember vom Kommandanten der östlichen Front, General
Kazim Karabekir, offiziell empfangen. Doch
gleichzeitig stachelten die Militärs gemeinsam mit der »Gesellschaft zur
Verteidigung der Heiligen Plätze« die Bevölkerung zu antikommunistischen
Demonstrationen gegen die »Gottlosen« auf. So hoffte Karabekir,
die kommunistische Delegation ohne Brüskierung der Sowjetregierung zu
vertreiben. Auch in Erzurum und schließlich in der Schwarzmeerstadt Trabzon
wurden die Kommunisten von einem aufgehetzten Mob mit Rufen und Steinen
attackiert. So akzeptierten sie das Angebot des Chefs der Bootsführergilde,
Yahya Kaptan, eines engen Unterstützers von Mustafa
Kemal, mit einem Schiff in Sicherheit gebracht zu werden. In jener Nacht zum
29. Januar 1921 wurden Suphi, Nejat und ihre 13 Genossen auf heimtückische
Weise ermordet und ihre Leichen ins Wasser geworfen. Inwieweit Yahya auf
höheren Befehl aus Ankara handelte, ist nicht bekannt. Als er unter
Mordverdacht auszupacken drohte, wurde Yahya selber im Gefängnis umgebracht.
Das Auslandsbüro des ZK der TKP in Baku benannte die kemalistische
Regierung als »die eigentliche Urheberin dieses Verbrechens« und forderte von
der Kommunistischen Internationale Solidarität, »daß
die Henker erhängt werden, damit dies große Verbrechen nicht ungestraft und
ungesühnt bleibt«.
Repressionswelle
Doch ohne ein Wort zur Ermordung der türkischen Kommunisten zu verlieren, schloß die Sowjetregierung am 16. März 1921 mit der Türkei
einen aus der gemeinsamen Gegnerschaft gegen den britischen Imperialismus
erwachsenen »Freundschafts- und Brüderlichkeitsvertrag«. Aus außenpolitischen
Erwägungen Sowjetrußlands wurden die Kommunisten in
der Türkei nun zur politischen Unterordnung unter die bürgerliche
Nationalbewegung angewiesen. Dies war ein Bruch mit den von Lenin verfaßten Leitsätzen der Komintern zur Nationalitäten- und
Kolonialfrage, die bei zeitweiligen Bündnissen mit der revolutionären Bewegung
der rückständigen Länder die Aufrechterhaltung des selbständigen Charakters der
proletarischen Bewegung – »sei es auch in ihrer Keimform«
– forderten.
Unmittelbar nach ihrem durch sowjetische Waffenlieferungen ermöglichten Sieg
über die Griechen leiteten die Kemalisten im Herbst 1922 eine erneute
antikommunistische Repressionswelle ein. Schließlich diente ein kurdischer
Aufstand 1925 als Vorwand für das bis heute gültige Verbot aller
kommunistischen Betätigungen. Innerhalb der Komintern fand zu keinem Zeitpunkt
eine kritische Aufarbeitung ihrer frühen Türkei-Politik statt. Dies ist eine
Ursache dafür, daß sich große Teile der türkischen
Linken bis heute nicht vom Kemalismus lösen konnten.
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Mustafa Suphi
Mustafa
Suphi wurde 1883 in Giresun geboren. Nach einem
Jura-Studium in Istanbul promovierte er ab 1905 an der École
des Sciences politiques in
Paris. In Frankreich stand Suphi der jungtürkischen Reformbewegung nahe, die
sich für eine konstitutionelle Monarchie in der Türkei einsetzte. Nach seiner
Rückkehr in die Türkei arbeitete er ab 1910 als Lehrer. 1912 brach Suphi endgültig
mit dem seit seiner Machtübernahme in der bürgerlichen Revolution 1908
zunehmend nationalistisch und autoritär auftretenden jungtürkischen »Komitee
für Einheit und Fortschritt«. 1913 wurde Suphi im Rahmen einer Verhaftungswelle
gegen Oppositionelle nach der Ermordung des jungtürkischen Großwesirs Mahmut
Sevket Pascha zu 15 Jahren Exil in Sinop verurteilt.
Von dort gelang ihm 1914 die Flucht nach Rußland. Als
Kriegsgefangener nach Kriegsausbruch in den Ural verbannt, schloß
sich Suphi dort 1915 den Bolschewiki an. Nach der Oktoberrevolution arbeitete
er als Sekretär des tatarischen Bolschewisten Mir-Said Sultan Galiew sowie als Leiter der orientalischen Sektion im von
Stalin geführten Volkskommissariat für Nationalitäten. Mit einer aus türkischen
Kriegsgefangenen gebildeten »Roten Division« kämpfte Suphi an der Seite der
Roten Armee im Bürgerkrieg. 1919 nahm er am Kongreß
der Kommunistischen Internationale teil und gründete die erste türkischsprachige kommunistische Zeitung Yeni Dünya (Neue Welt). Das
Zentralkomitee der von Suphi gebildeten türkischen kommunistischen Gruppe
siedelte 1919 von der Krim nach Baku über, um von dort aus die Partei in der
Türkei aufzubauen. Auf dem Gründungskongreß der
Kommunistischen Partei der Türkei am 10. September 1920 in Baku wurde Suphi zum
Vorsitzenden gewählt. Gemeinsam mit 14 seiner Genossen wurde er in der Nacht
auf den 29. Januar 1921 von Kemalisten ermordet.