Junge Welt 31.12.2013
Rote Linien überschritten
Von Nick
Brauns
In der
Türkei findet derzeit ein Justizputsch gegen die Regierung von
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan statt. Im
Hintergrund ziehen die USA und die Israel-Lobby die Fäden. Das ausführende
Werkzeug ist die Gülen-Gemeinde, die mit ihren Kadern im Polizei- und
Justizapparat einen Parallelstaat gebildet hat. Neuer Vertrauensmann für den
Westen ist der von der Gülen-Gemeinde unterstützte, ebenfalls der regierenden
AKP angehörende Staatspräsident Abdullah Gül. Die weltweit operierende Gülen-Cemaat mit ihrer neoliberalen Ausrichtung, ihrer
Frontstellung zum schiitischen Iran bei gleichzeitiger wohlwollender Toleranz
gegenüber Israel erscheint dabei als natürlicher Verbündeter der US-Regierung.
Der Türkei war von den USA im Rahmen ihres Projektes »Größer Mittlerer Osten«
die Aufgabe einer prowestlichen Führungsmacht für die islamische Welt
zugedacht. Nachdem im Zuge des »Arabischen Frühlings« in Tunesien und Ägypten
Parteien der Muslimbruderschaft an die Regierung
kamen, wuchs der Einfluß der ebenfalls dieser
politischen Tradition entstammenden AKP. Vor diesem Hintergrund sahen die USA
auch über Erdogans antiisraelische Ausfälle etwa beim
Wirtschaftsforum in Davos 2009 oder nach dem Angriff Israels auf die »Free
Gaza«-Flotte 2010 hinweg.
Doch als Erdogan im Sommer mit Massenprotesten konfrontiert war, gab es bereits
deutliche Kritik der US-Regierung und der EU an seinem harten Vorgehen. In den
Augen des Westens entpuppte er sich zunehmend als Gefahr für die Stabilität der
geopolitisch wichtigen Türkei. Mittlerweile wurden in Ägypten die Muslimbrüder vom Militär wieder von der Macht verdrängt,
während es im syrischen Bürgerkrieg bislang nicht gelungen ist, Präsident Baschar Al-Assad durch eine von den syrischen Muslimbrüdern gebildete Regierung zu stürzen. Gleichzeitig
leistete die AKP massive logistische Unterstützung für Tausende über die Türkei
nach Syrien strömende Gotteskrieger des Al-Qaida-Netzwerkes, um mit ihrer Hilfe
die Etablierung einer kurdischen Selbstverwaltungsregion entlang der türkischen
Grenze zu verhindern. In den Augen der USA und Israels ist diese Al-Qaida-Präsenz,
die sich auch gegen die prowestlichen Einheiten der Freien Syrischen Armee
wendet, zu einem massiven Problem angewachsen.
Eine weitere von den USA gesetzte rote Linie überschritt Erdogan, als die
staatliche Halkbank mit Hilfe dubioser Geschäftsleute
das von Washington verhängte Embargo gegen Iran mit Goldtransaktionen
unterlief. Bereits im Frühjahr hatten türkische Medien berichtet, daß die Israel-Lobbby AIPAC und
47 US-Senatoren von der US-Regierung deswegen Sanktionen forderten. Am 17. Dezember
wollte der türkische Wirtschaftsminister Zafer Caglayan zu Gesprächen in den
Iran fliegen. An diesem Tag begannen die Razzien gegen die der Korruption
beschuldigten AKP-Politiker und Geschäftsleute.